Kritischer Nachruf zum Tod von Henri Kissinger

Im Zuge des Todes des ehemaligen US-Außenministers und gebürtigen Fürthers Henry Kissinger gedachte auch die Spielvereinigung diesem mit einem kurzen Text auf deren Website als auch einer Schweigeminute vor dem Heimspiel gegen Magdeburg. Begleitet wurde dies mit enormer Kritik in den Kommentarspalten als auch mittels eines kritischen Spruchbands auf der Nordtribüne. Der Hintergrund des Gedenkens dürfte den meisten Menschen im Ronhof bekannt sein: Der im Alter von 100 Jahren verstorbene Kissinger war bis zuletzt Ehrenmitglied der Spielvereinigung und damit wohl einer der berühmtesten Fans unseres Vereins, sowie seit nunmehr 25 Jahren Ehrenbürger der Stadt.
Nicht nur der kleine Nachruf seitens der Spielvereinigung sparte kritische Worte nicht nur weitestgehend, sondern gänzlich aus. Auch die Würdigungen vieler deutscher Politiker waren überwiegend positiv. So bezeichnete nicht zuletzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Kissinger als „großen Kämpfer für Freiheit und Demokratie“.
Ein unkritischer Personenkult um den ehemaligen US-Außenminister ist jedoch aufgrund einer Vielzahl von Aspekten durchaus zu hinterfragen, was sich bei einem genaueren Blick auf dessen Biographie zeigt.
Heinz Alfred Kissinger wuchs in einer jüdischen, bürgerlichen Familie in der Fürther Innenstadt auf und spielte als Kind nicht nur für die Spielvereinigung, sondern besuchte auch teils heimlich den Ronhof in einer Zeit, als diese gerade das dritte Mal Meister geworden war und nach wie vor zu den besten Mannschaften Europas zählte.

Im Sommer 1938 musste Kissinger mit seiner Familie vor der Verfolgung der Nationalsozialisten fliehen, sodass diese zusammen in die USA emigrierten.
Dort leistete er später Militärdienst, welcher ihn gegen Ende des zweiten Weltkriegs zurück nach Deutschland bringen sollte, bevor er erneut in die Vereinigten Staaten zurückkehrte und dort eine Karriere in der Politikwissenschaft absolvierte, welche ihm 1968 den Einstieg als Sicherheitsberater im weißen Haus und später auch den Posten des Außenministers ermöglichte. Seine akademische Karriere nahm Kissinger nach dem Ende seiner politischen Laufbahn 1977 erneut auf und machte sich einige Jahre später als Berater, Lobbyist und Autor selbstständig. Sein hohes internationales Ansehen verdankte er neben seiner zeitlebens geschickten Selbstvermarktung u.a. auch zahlreichen Auszeichnungen wie etwa dem Friedensnobelpreis, welchen Kissinger 1973 für die Verhandlungen zum Ende des Vietnamkriegs erhielt. Die Auszeichnung war bereits damals hoch umstritten, was nicht zuletzt an vielen düsteren Entscheidungen lag, an welchen Kissinger während der eben bereits angerissenen Amtszeit als nationaler Sicherheitsberater unter Präsident Nixon maßgeblich beteiligt war.

Im Zuge der Zuspitzung des Vietnam-Kriegs im Jahre 1969 ließen die USA unter der direkten Federführung Kissingers in einer groß angelegten Geheimoperation das neutrale Kambodscha bombardieren, um Lieferwege nach Nordvietnam zu blockieren. Der geheime Angriff, welcher nur durch einen internen Informanten ans Licht kam, war nicht nur völkerrechtswidrig, sondern forderte darüber hinaus hunderttausende zivile Opfer. Zudem lösten die USA durch die Destablisierung Kambodschas indirekt einen massiven Bürgerkrieg im Land aus, in dessen Verlauf die rote Khmer an die 2 Millionen Menschen ermordete.

Neben diesem wohl bekanntesten Vorfall gibt es noch etliche weitere kritische Episoden im Verlauf der Amtszeiten Kissingers als Sicherheitsberater und ab 1973 als Außenminister. So soll er unter anderem den Militärputsch in Chile unterstützt haben, um den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Allende zu verhindern. 1975 unterstützten die USA unter Kissinger als republikanischer Außenminister unter anderem mit Waffenlieferungen den Einmarsch des indonesischen Diktators Suharto in Osttimor, welcher in einem Genozid mit etwa 250.000 Opfern mündete. Ähnliches hatte sich bereits 1971 ereignet, als Pakistans Militär gewaltsam gegen ostpakistanische (das Gebiet des heutigen Bangladesch) Autonomiebestrebungen vorging, dabei etwa eine Million Opfer und 20 Millionen Geflüchtete verursachte und nicht zuletzt auch auf amerikanische Waffenlieferungen zurückgreifen konnten, obwohl deren Kongress zuvor Wirtschaftssanktionen verhängt hatte.

Kissinger war also nicht nur „eine menschliche Größe“, wie die SpVgg ihn im Nachruf nennt, sondern in erster Linie ein knallharter Machtpolitiker, der vor nichts zurückschreckte, um US-amerikanische Interessen im Ausland durchzusetzen. Dies zeigt sich beispielsweise auch an einem mitgeschnittenen Telefonat des ehemaligen US-Außenministers mit der damaligen israelischen Premierministerin Golda Meir, als es um mehr Druck auf Moskau für zusätzliche Ausreisemöglichkeiten für sowjetische Juden ging. Folgendermaßen wird Kissinger zitiert: „Die Auswanderung von Juden aus der Sowjetunion ist kein Ziel der amerikanischen Außenpolitik. Auch wenn sie Juden in Gaskammern stecken, ist das keine amerikanische Angelegenheit. Vielleicht ist es eine humanitäre Angelegenheit.“

Damit sind nur die schwerwiegendsten und bekanntesten Fälle genannt, die die Amtszeiten Kissingers durchaus in einem anderen Licht erscheinen lassen als es der Nachruf der SpVgg tut. Dass Kissingers Tod als berühmtes Mitglied natürlich eine gewisse Relevanz für unseren Verein hat und nicht zuletzt auch sein u.a. durch die Flucht vor den Nationalsozialisten beeinflusstes Verhältnis zu Deutschland in der Betrachtung hierzulande eine Rolle spielt, liegt auf der Hand. Somit ist eine ausführlichere Beschäftigung mit seiner Person absolut legitim. Wenn dabei allerdings die zahlreichen Schattenseiten seiner politischen Laufbahn, welche zum Tod von Millionen von Menschen beigetragen haben, dabei so ausgelassen werden, ist das aufs Schärfste zu kritisieren und lässt unseren Verein in einem schlechten Licht erscheinen. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass historische und personenkritische Fakten zu eigenen Promo-Zwecken hinten angestellt werden

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